Simflight-Exklusivinterview: Stanisław Drzewiecki über Fleißarbeit, Detailverliebtheit und die nächsten Pfeile im Köcher

Unaussprechlich, aber ausgesprochen gut! Der Slogan eines pflanzlichen Immunpräparats passt auch zu ihm und seinem Entwicklerstudio: Stanisław Drzewiecki. Der 1987 geborene Pole ist nicht nur ein Virtuose am Klavier (erste öffentliche Auftritte mit fünf Jahren, 2000 gewann er sogar den Nachwuchswettbewerb “Eurovision Young Musicians”), sondern auch ein wahrer Künstler wenn es darum geht, Szenerien für Flugsimulationen zu kreieren. Im Dezember 2022 kam mit der Umsetzung des Newark International Airport (KEWR) ein weiteres detailreiches Addon auf den Markt – und am nächsten wird schon fleißig gearbeitet. Simflight-Autor “pattek” hat Drzewiecki digital zum Exklusiv-Interview getroffen.

Fliegen ist seine Leidenschaft, real wie virtuell: Stanislaw Drzewiecki

Simflight: Hallo Stanislaw, schön, dass du bei uns bist! Wie hast du das neue Jahr begonnen – die Veröffentlichung von Newark International gefeiert oder gleich wieder in die Arbeit gestürzt?

Stanislaw Drzewiecki: Hallo Patrick! Wir haben nicht wirklich viel gefeiert – wir versuchen eher, den Entstehungsprozess eines Produkts zu feiern. Der letzte Teil der Arbeit ist normalerweise weniger angenehm und konzentriert sich mehr auf das Finden und Beheben von Fehlern. Häufig werden nach der Veröffentlichung auch 1-2 Updates veröffentlicht, und dasselbe geschah mit KEWR. Wir hören immer auf das, was unsere Kunden sagen, und versuchen, so viel wie möglich zu reparieren, zu ändern oder zu aktualisieren. Wie auch immer, KEWR war ein wirklich kompliziertes Projekt, also hatten wir wirklich das Gefühl, etwas Großes geschafft zu haben.

Wenn Du von „Wir“ sprichst, meinst Du natürlich nicht nur Dich selbst. Wie viele Menschen arbeiten eigentlich für Drzewiecki Design?

Ich bin sehr stolz darauf, dass es uns gelungen ist, ein so fantastisches Team aufzubauen und zu halten. Die Zusammenarbeit macht viel Freude und ist auch sehr inspirierend. Derzeit beschäftigen wir je nach Projekt etwa 15 Personen. Das Team ist ziemlich groß und jedes Mitglied ist ein Perfektionist, so dass es einige Herausforderungen mit sich bringt, gemeinsam Entscheidungen bezüglich des Arbeitsablaufs zu treffen. Wir haben unseren Sitz in Polen, aber die Hälfte des Teams lebt in verschiedenen Ländern, was auch einige Schwierigkeiten mit sich bringen kann. Unser ukrainischer Mitarbeiter beispielsweise konnte sich nur einmal pro Woche mit dem Internet verbinden und arbeitete während des Fliegeralarms. Trotzdem kam er mit dem Versenden von Dateien nie zu spät. Und kürzlich haben zwei unserer Mitarbeiter geheiratet, aber diese Tatsache hat den Beta-Test von KEWR nicht beeinflusst.

Screenshots, Videos und Reviews sagen uns, dass Newark wieder eine hervorragende Szenerie ist. Was ist in Deinen eigenen Worten das Besondere daran?

KEWR ist aufgrund des reinen Umfangs des Projekts und der Detailebene, für die wir uns entschieden haben, etwas Besonderes. Für eine einzelne Person würde es viele Jahre dauern, um eine solche Menge an Arbeit zu leisten. Sicherlich werden nicht alle Sim-Piloten gerne die Innenräume oder 3D-Kabinen von statischen Flugzeugen besuchen (können übrigens deaktiviert werden). Aber wir versuchen immer, die Erwartungen der Simmer zu übertreffen. Wir glauben, dass das Besondere im Detail steckt, und unser Ziel ist es, nicht nur alle Schilder und Markierungen so zu machen, wie sie am echten Flughafen sind, sondern die Atmosphäre, das subjektive Gefühl, an diesem Flughafen zu sein, nachzubilden. Dinge wie benutzerdefinierte Sounds, benutzerdefinierte Animationen, fotorealistische Texturen und alle möglichen anderen Details helfen dabei, dies zu erreichen, aber dies ist eine riesige Arbeit. Ich persönlich denke, dass KEWR bisher eines unserer besten Projekte ist und noch viele Jahre Freude bereiten wird.

Ein letzter Aspekt noch zu Newark: Wie lange hat es gedauert, um das Projekt fertigzustellen – von der ersten Skizze bis zur endgültigen Veröffentlichung?

Ein Team von 10 Leuten hat 10 Monate am Stück daran gearbeitet. Wir hatten natürlich schon vorher an KEWR gearbeitet, es gab “einfache” Versionen für P3D, FSX, Xplane usw., aber die MSFS-Wiedergabe wurde komplett von Grund auf neu erstellt. Beim neuen Terminal A mussten wir sogar mit Visualisierungen statt mit dem realen Objekt arbeiten. Nach der Veröffentlichung fragten unsere Kunden nach weiteren Anpassungsmöglichkeiten und wir stellen dies zusammen mit zusätzlichen Optimierungen des Flughafens zur Verfügung.

Kannst Du uns etwas über die Schritte des Prozesses zur Erstellung einer neuen Szenerie erzählen? Wo fängt man an, was nimmt am meisten Zeit in Anspruch und was sind die größten Herausforderungen?

Das Sammeln von Quellen kostet viel Energie. Dies beginnt oft eine beträchtliche Zeit vor der eigentlichen Modellierungsarbeit – manchmal Monate oder über ein Jahr vorher. Wir versuchen auch, Kontakt zu lokalen Mitarbeitern eines Flughafens (Bodenpersonal, Sicherheitspersonal, Fluglotsen) und dort operierenden Piloten herzustellen. Dies erweist sich später oft als unbezahlbar, da sie in der Lage sind, aktuelle Bilder und Informationen bereitzustellen.

Ein wesentlicher Teil der Entwicklung ist dem Layout, allen Markierungen und der Beleuchtung gewidmet. Allein dies kann bei großen Flughäfen 4-5 Monate dauern. Stell Dir vor: es gibt manchmal Tausende von Schildern und jedes muss die richtige Textur haben und an der richtigen Stelle platziert werden. Die Modellierung und Texturierung von Gebäuden ist der offensichtliche Schritt, aber es gibt noch so viel mehr – individuelle Bodenfahrzeuge, allgemeine Fahrzeuge, Animationen, Tonnen von verschiedenen Assets, Zufahrtsstraßen zu Flughäfen, Züge und andere Kommunikationssysteme und oft Wahrzeichen der Stadt. Jedes Produkt ist ein bisschen anders, also gibt es keine „goldene Regel“. Wir analysieren jedes im Hinblick auf den Inhalt, den wir hineinstecken wollen.

Ihr probiert oft neue Dinge aus, etwa ein ganzer Haufen individueller Animationen, wie sie in Seattle Renton zu sehen sind (hier geht’s zum Simflight-Review). Ist damit schon die Grenze des Machbaren erreicht oder können wir in zukünftigen Projekten noch mehr erwarten?

Innovativen Dingen sind keine Grenzen gesetzt. Ehrlich gesagt war Renton ein bisschen wie ein Vorspiel für das kommende KPAE Paine Field, wo Triple Sevens (Boeing 777, Anm. d. Red.) produziert werden. Auch dort modellieren wir die gesamte Montagelinie, aber detaillierter als in Renton. Leider gibt es in Paine keine Züge (dabei sind Züge so cool!), aber wir werden das mit anderen interessanten Details wettmachen. Paine Field wird eines der interessantesten Produkte sein, die wir schaffen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten Simmer die reale Fabrik nicht besuchen werden, aber mit unserem Produkt … werden sie es tun können!

Das klingt verdammt spannend! Aber: Animationen, Menschen in Gebäuden, Werbung und komplette Innenausstattung von Terminalgebäuden. Sicher, alles “nice to have” – aber warum brauchen wir das, während wir draußen das Flugzeug fliegen?

Offen gesagt: BRAUCHEN tut man das streng genommen nicht, das stimmt. Wir arbeiten oft mit Firmen zusammen, die Software für zertifizierte Trainingsplattformen anbieten und die nur Grundrisse und Beleuchtung benötigen, auch ohne maßgeschneiderte Gebäude. Wenn wir aber einen MSFS-Flughafen bauen, ist es unser Ziel, eine Destination zu bieten, die man wie ein Tourist besuchen kann. Da geht es uns nicht nur ums Landen und Starten. Es ist das, was wir lieben und was uns große Freude bereitet. Ist es für ein kommerzielles Produkt erforderlich? Wahrscheinlich nicht, obwohl man heutzutage kaum noch kommerzielle Flughafenkulissen ohne Terminal-Interieur findet und wir sehr froh sind, dass dieser Trend inzwischen zum Standard geworden ist.

Wird denn die Erstellung und Einbindung solcher Details nicht dadurch begrenzt, dass irgendwann die Performance/Framerate spürbar leidet?

Die Performance ist immer der größte limitierende Faktor bei der Spieleerstellung, wenn das Rendering „on the fly“ erfolgt. MSFS ist in dieser Hinsicht eine fantastische Plattform, da man Tonnen von Details unterbringen und dennoch eine akzeptable Leistung beibehalten kann. Natürlich klafft eine riesige Lücke zwischen Kunden mit aktuellen High-End-Rechnern und solchen, deren PC sich noch an FSX-Zeiten erinnert. Unser Ziel ist es, High-End-PCs maximal zu nutzen und unsere Produkte auch auf „Vintage“-Computern flugfähig zu machen.

Wenn ich mir Euer “Shop-Schaufenster” ansehen, erstellt Ihr sowohl große Drehkreuze und internationale Airports als auch regionale Flughäfen. Abgesehen von der Größe, was sind die Hauptunterschiede bei der Erstellung dieser Szenerien?

Die Region der Flughäfen hat wohl den größten Einfluss auf deren Aussehen. Amerikanische Flughäfen haben viele Gemeinsamkeiten, ebenso polnische / europäische Flughäfen. Aber RJAA Tokio-Narita hat zum Beispiel viele individuelle Details, ganz zu schweigen von der japanischen Sprache, die wir bei der Entwicklung souverän beherrschen mussten. Aus diesem Grund suchen wir normalerweise keine neuen Regionen für unsere Produkte, da der gesamte Prozess der Quellensammlung in solchen Fällen komplizierter ist. Außerdem müssen viele neue einzelne lokale Assets erstellt werden, was den Zeit- und Kostenaufwand erheblich erhöht.

Nachdem Ihr mit KEWR einen wirklich großen Flughafen veröffentlicht haben, arbeitet Ihr jetzt an einer eher kleinen Perle – dem Flughafen Lennart Meri in Tallinn, der Hauptstadt Estlands. Warum habt ihr ihn ausgewählt?

Tallinn ist seit FS2000 einer unserer Lieblingsflughäfen! Es ist ein wunderschön gelegenes baltisches Reiseziel mit sehr stilvollen Gebäuden und einem interessanten Layout. Außerdem sind die Flughafenbehörden von Tallinn äußerst aufgeschlossen. Wir haben dort drei umfassende Fotoshootings gemacht und erhebliche Hilfe erhalten, auch von der örtlichen Gemeinde. Die Arbeit am Flughafen Tallinn war für uns schon immer entspannend. Wir hatten Ideen für andere Flughäfen aus den baltischen Staaten, aber keiner bot sich so sehr an wie Tallinn. Diese Tatsache hat definitiv dazu beigetragen, dass EETN für uns zu einem besonderen Ziel geworden ist, das Du auch besuchen solltest!

Das durfte ich im echten Leben im Jahr 2018, deswegen freue ich mich auf das Gegenstück im Sim. Ich kann mich erinnern, dass du vor mehr als einem Jahr ein Instagram-Posting gemacht hast, in dem einige eurer Leute zu sehen waren, die am Flughafen Fotos machten. Wie viele Bilder benötigt Ihr grob gesagt und worauf konzentriert Ihr Euch dabei?

Wir nutzen oft Online-Ressourcen, aber Bilder, die wir gezielt erhalten oder selbst schießen, machen Produkte viel individueller. Für einige Projekte haben wir 2-3.000 Bilder gesammelt. Dies hängt wirklich vom jeweiligen Flughafen ab, aber im Allgemeinen ist das endgültige Aussehen umso besser, je besser die Quellengrundlage ist.

Was können wir von der kommenden Szenerie erwarten? Werden auch einige Gebäude der Altstadt enthalten sein? Denn von der schönen Stadt Tallinn gibt es im MSFS leider keine Photogrammetrie.

Auf jeden Fall! Unser Plan ist es, alle für Flieger wichtigen Gebäude zu modellieren, insbesondere Hochhäuser und markante VFR-Punkte.

Ich denke, du wirst es noch nicht verraten – aber ich frage dennoch: Wann können wir ungefähr damit rechnen, Tallinn auf dem Markt zu sehen?

Wir haben vor vielen Jahren aufgehört, Fristen anzugeben und zu setzen. Für uns ist es wichtiger, ein vollständiges und gut getestetes Produkt zu veröffentlichen, als eine Deadline einzuhalten.

Wenn Du nicht an Szenerien arbeitest oder im Sim unterwegs bist, fliegst Du im wirklichen Leben. Was gefällt Dir daran, besonders der Vergleich zwischen dem virtuellen und realen Himmel?

Ich würde virtuelles Fliegen niemals als Ersatz sehen, aber auch nicht als etwas „Schlechteres“ als echtes Fliegen betrachten. Dies ist nur eine andere Art von Aktivität, obwohl man, insbesondere wenn man Netzwerke wie Vatsim oder Ivao verwendet, jede Menge praktische Dinge über reale Operationen, Verfahren und Kommunikation lernen kann. Früher bin ich viel auf Vatsim geflogen, habe dort ungefähr 2000 Stunden geloggt und mehrere Weltumrundungen gemacht. Das war eine großartige Erfahrung, begleitet von sehr realen Emotionen und manchmal Stress. Ich würde sagen – das reale Fliegen macht genauso viel Spaß wie das virtuelle Fliegen!

Wir wünschen ganz viel Freude dabei, bei beidem. Stanisław, herzlichen Dank für Deine Zeit und weiterhin viel Erfolg!

3 Comments
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Claus-Peter Schulz
Claus-Peter Schulz
1 Jahr zuvor

Hallo, ein sehr schönes, spannendes und Neugier weckendes Interview, Danke sehr 🙂

Peter
Peter
1 Jahr zuvor

Tolles Interview, danke!