Review: Carenado Beechcraft 58 Baron

 

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Beechcraft 58 Baron und Carenado – zwei Begriffe, die zwei bestens bekannte „Simulator-Urgesteine“ beschreiben – die aber auch sofort gewisse Vorurteile aufkommen lassen. Die Baron 58 – ein kräftiger, stabiler Zweimot der mittleren Performance-Klasse, angesiedelt im unteren Business-Aircraft Segment mit einem gewissen Hang zu übertriebenem Durst und Carenado, Hersteller von äusserst detaillierten photorealen Flugzeug Add-Ons ohne zu hohe Ansprüche auf technische Finessen. Also Ein Kurzreview basierend auf Vorurteilen? Wenn das nur gut geht …

Ich habe ein Kurzreview verprochen und will versuchen, es auch zu halten. Gehen wir am besten mal die Fakten durch. Download und Installation klappen natürlich völlig problemlos. Der Installer mit 80.7 MB beschert mir in der Folge 5 Texturmodelle: 4 farbige und eine neutral weisse, als Paintkit gedacht. Der erste Blick auf das Aussenmodell und dessen hochauflösende Texturen ist natürlich – schon wieder ein Vorurteil – äusserst erfreulich und lässt erkennen, dass sich Carenado hier wiederum keine Blösse gegeben hat. Warum allerdings die Unterseite derart „schmutzig“ sein muss, ist mir auch nicht ganz klar…

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Die Texturqualität findet ihre Fortsetzung natürlich auch weitestgehend im Innenmodell – sprich VC. Allerdings ergibt sich ein gewisser „déja-vu“ Effekt bei der Reise durch das VC. Die Instrumente hat man alle irgendwo schon mal gesehen – kein Wunder, bei dem Tempo, in dem Carenado neue Modelle auf den Markt wirft. Aber da gibts wirklich nicht viel zu mäkeln. Eine KFC-200 HSI/FD Kombination sieht nun mal überall gleich aus, egal wo sie eingebaut ist.

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Auch die Nachtbeleuchtung sieht im VC zufriedenstellend aus. Es lohnt sich nicht, darüber zu streiten, ob die Lichter jetzt zu hell oder zu dunkel sind. Das ist einfach Geschmacksache. Allerdings ist es dann wieder sehr störend, dass der Lichtkegel der Landescheinwerfer nicht da ist, wo er hingehört. Nach längerem Suchen habe ich ihn ca. 100 m vor dem Flugzeug nach rechts versetzt gefunden… Klickende Schalter sucht man im VC vergebens. Dies würde mich weniger stören als die ersten Bequemlichkeiten, die sich bei genauerem Hinschauen erkennen lassen. Keine Angst, ich werde jetzt nicht eine komplette Mängelliste erstellen. Ich möchte nur aufzeigen, was mich bei einem Modell dieser Preis- und Ausstattungklasse einfach stört. Bei den Kippschaltern ist der Schaltwinkel einfach zu klein. Man muss ab und zu schon genau hinsehen, um zu erkennen, in welcher Stellung sie stehen.

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Und dann ist mir einfach zuvieles Default-Verhalten: Die Landescheinwerfer haben zwei Schalter – sie sind aber nicht einzeln zu schalten. Die Boosterpumpen haben sogar in der Default-Baron je eine HIGH, LOW und OFF Stellung, hier aber nicht – auch wenn deren Wirkung auf den hässlichen Default-Fuelpump Sound beschränkt ist. Das Ampèremeter für Propellerenteisung steht – das wird langsam zum Running Gag – unabhängig von der Schalterstellung immer in der Mittelstellung. Die Default-Baron lässt grüssen… Und dann noch der absolute Hammer: es gibt standardmässig keine direkte Sicht auf die Fuel-Selectors! Ich bin nun einfach mal der Ansicht, dass alle Bedienungselemente eines VC entweder durch Schwenken oder durch programmierte Sichten mit „A“ durchgeblättert sichtbar sein sollten. Nun ja, vielleicht ist es besser so. Man kommt dann auch nicht in Versuchung, die Tankwählschalter auch wirklich zu benutzen. Deren jeweils drei Positionen sind nicht einzeln wählbar. Sie müssen immer in der Reihenfolge „NORMAL-CROSSFEED-OFF“ durchgeklickt werden – was natürlich immer mit einem lustigen Motoraussetzer quittiert wird. Das ist einfach nachlässig und – ich muss es wieder sagen – sogar in der Default-Baron besser gemacht. In dieses Bild der Sorglosigkeit oder Unsorgfalt passen leider auch die unvollständigen und teilweise falsch anzeigenden Tooltips.

Ach ja, sie hat selbstverständlich schon auch noch ihre gute Seiten. Die Performance ist der Wirklichkeit recht gut angepasst und kann anhand der Tabellen im Handbuch einigermassen erflogen werden. Auch das Flugverhalten ist – wie es sich für eine Baron gehört – stabil und ausgewogen – so gut es eben auf einem Bildschirmsimulator geht. Da kann man auch nicht viel falsch machen, aber es ist gegenüber der Default-Baron wesentlich verbessert. Der Einmotorenflug ist dann wieder ziemlich default ausser dass sich die Props – entgegen der Default-Baron – in eine Art Segelstellung bringen lassen.

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Auch das Motorenverhalten ist dann wieder erschreckend FSX-mässig. Der zur Leistung passende Fuel-Flow muss einfach nach dem Fuel-Computer eingestellt werden, dann haut’s wenigstens mit den Verbrauchszahlen und der Reichweite hin – genauer gesagt, würde es hinhauen, wenn nicht – und das ist ein weiterer Knaller – eine völlig falsche Tankkapazität verwendet würde! Die 58er Baron hat standardmässig 166 oder 194 USG Tanks (2 x 83 USG sowie optional 2 x 14 USG Tiptanks). Aufgrund der Tatsache, dass auf dem Flügel nur ein Tankstutzen erkennbar ist, sind es 166 USG. Carenado steht hier offensichtlich unter Spardruck und gesteht uns gerade mal 136 USG zu! Das ist mir völlig unverständlich! Damit es aber nicht gar so arg aussieht, rechnet der Fuel-Computer die Endurance falsch und gibt sicherheitshalber mal den doppelten Wert an. So ergibt sich wieder eine schöne Flugzeit…

Der Sound ist in Leerlauf und Vollgas recht gut, in den Zwischenstellungen fehlen aber – auch schon fast wieder ein Running Gag bei Carenado – wirklich saubere Übergänge.

Zu der Avionik ist nichts Besonderes anzumerken. Die Garmin GNS430 bauen auf dem Default GPS auf und sind durch die Frequenzwahl-Funktion erweitert. Dieselbe Kombination trifft man auf praktisch jedem neueren Carenado-Modell. Der Flight-Director ist ebenfalls default, aber leider noch schlecht ajustiert, sodass er nicht besonders gut zu gebrauchen ist. Alle Instrumente sind in gewohnter, sauberer 3D-Darstellung, wie man es von Carenado erwartet. Da kann man getrost darüber hinwegsehen, dass die Motoren beim Start um ca. 100 RPM überdrehen…

Die Handbücher sind in der üblichen „Carenado-Manier“ verfügbar. Schön, mit schlecht gescannten Tabellen und nicht vollständig. Es ist z.B. für den Laien nicht nachvollziehbar, welcher Motorentyp verwendet wird. Damit schliesst sich der Kreis zum Anfangs erwähnten Vorurteil gegenüber der 58er Baron als etwas durstiges Reiseflugzeug. Anhand der Tabellen im Handbuch kann man aber erkennen (wenn man die Baron ein bisschen kennt), dass bereits die in den neueren Modellen verwendeten Continental IO-550C „verbaut“ sind. Diese erlauben einen Betrieb bei „20°F lean“, d.h. Auf der mageren Seite, was den Treibstoffverbauch entscheidend verbessert hat. In den Handbüchern ist das nirgendwo erwähnt – nicht einmal, dass die Treiblinge 300 PS haben. Das weiss man einfach. Aber es bestätigt – leider – auch wieder das, was man von andern Carenado-Hadbüchern kennt: Seitenweise Original-Checklisten, die man – vor allem, aber nicht nur in Motorenhandling (siehe oben) – leider nicht wirklich abarbeiten kann.

Braucht es ein Fazit? Nun, es ist schnell gezogen. Für Carenado-Fans mit fast ausschliesslichem Anspruch auf Eye-Candy selbstverständlich wieder ein Muss. Schön ist sie allemal ! Für Simmer, die die Finessen einer Baron 58 erfliegen wollen, ist der Eindruck eher zwiespältig. Dier Performance stimmt, aber bei fast allem, was die technischen Details – sprich Systemtiefe – betrifft, ist nur gerade Default-Standard (oder noch weniger) angesagt – dabei ist die Baron bezüglich Systemtiefe ja wirklich nicht gerade anspruchsvoll. Zudem enthält das Modell für meinen Geschmack etwas zuviele “Bequemlichkeiten” und eigentliche Fehler. Da wird wohl gelegentlich ein Patch oder Service-Pack fällig. Ob dies den Verkaufspreis rechtfertigt, muss jeder selbst entscheiden. Nach dem heutigen Wissensstand hätte ich sie wohl eher nicht gekauft.

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Pro Contra
  • Tadellose Grafiken
  • Stimmige Dimensionen
  • Gute Performance-Adaption
  • zu viel Default-Verhalten
  • zu viele Ungenauigkeiten
Testsystem:
Intel Core i7 960 3.2 GHz
6 GB DDR3 RAM 1.6 GHz
1 x 120 GB SSD
2 x 1 TB HD
2 x ASUS ENG TX 285, latest drivers 266.58
Windows 7 Professional 64 Bit

Rezensent: Oskar Wagner

7 Comments
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Markus Burkhard
Markus Burkhard
13 Jahre zuvor

Hi Oski,

vielen Dank für die Review, die das Notwendige unmissverständlich aussagt! Ich glaube beim nächsten Produkt von Carenado wirst du den gleichen Text verwenden können und einfach Flugzeugtyp und Screenshots austauschen…

Ich wünschte mir halt, Carenado würde nur halb so viele Flugzeuge im Jahr auf den Markt werfen, dafür dann aber für mehr brauchbar als bloss zum anschauen. Aber so lange die Masse alles kauft was die uns da vorwerfen, wird sich das nie ändern.
Bevor jetzt jemand sagt, manche Leute mögen es eben etwas simpler, muss ich sagen ein GA-Kleinflugzeug mit Piston-Engine ist schon genug simpel, auch wenn es vollständig realistisch programmiert würde!

Zum Glück gibt es Accusim, RealAir und Marcel Felde & Co. Fehlt eigentlich nur noch, dass Erstere mal wieder ein GA-Flugzeug bauen!

Merci für deine Arbeit Oski!

Markus

Miko
13 Jahre zuvor

Amen!

Oski
Oski
13 Jahre zuvor

Hoi Markus!
Du sprichst mir aus der Seele! Es liegt mir ja überhaupt nichts daran, Carenado “in die Pfanne zu hauen” oder ähnliches. Ich würde mir einfach auch wünschen, dass sich bei ihnen die Einsicht breitmachen würde, dass etwas mehr Sorgfalt und Aufwand auf der technischen Seite ihre Produkte wesentlich verbessern würde. So sind sie einfach “nur schön”. Ehrlich gesagt – mir graut ein bisschen vor der Flut an neuen Flugzeugen bei Carenado. Aber das ist jetzt schon wieder fast ein Vorurteil… 🙂

Sebastian
Sebastian
13 Jahre zuvor

Danke für die Review…

Ich denke, uns wird mit der C90 das gleiche Schicksal erwarten…:(

holger
holger
13 Jahre zuvor

Hi,

naja, sooo kurz war die Rezension ja nun auch nicht. Besten Dank für Deine Mühe. Hat Spaß gemacht zu lesen und sehr informativ war es auch noch.

Viele Grüße
Holger

holger
holger
13 Jahre zuvor

So, habe aus dem “Kurzreview” ein normales Review gemacht und wie alle anderen Rezensionen auch, wird der Beitrag jetzt ein paar Tage lang auf der Startseite “sticky” sein. Ich denke, das ist in Deinem Sinne.

Holger

Pidder
13 Jahre zuvor

Sehr prägnantes und ehrliches Review. Und alle Vorurteile werden leider mal wieder komplett bestätigt. Das mit den Schaltern muss man Carenado nachsehen: mit 3D im VC haben sie noch nicht soviel Erfahrung :D.

Die Befürchtungen bezüglich der King Air habe ich leider auch. So, wie in früheren Zeiten eine Cessna der anderen glich, scheint sich jetzt die Geschichte mit Beechcraft bei Carenado zu wiederholen.>/Vorurteil>.

Danke, Oski!