Erster Eindruck: Flightsim Studio Embraer 170/175 (MSFS)

Der Entwickler Flightsim-Studio hat uns einen Vorabzugriff auf die gerade erschienene Early-Access-Version der Embraer 170/175 für den Microsoft Flightsimulator gegeben, die heute nun veröffentlicht wurde. Vorneweg gab es erhöhte Aufmerksamkeit aus den Flugsimulator-Blogs (zumindest meine Early Access-Version kam auch mit der Bemalung eines bekannten deutschen Blogs…), beginnend mit einem Hype, und endend mit Ernüchterung.

Mein Ziel ist es, euch, abgesehen vom Marketing, zu erklären, was ihr jetzt schon zu erwarten habt und ob es sinnvoll ist, sich auf das Early-Access-Spiel einzulassen. Dazu nutze ich die Version 0.9.0, die die offizielle Release-Version sein soll –  Ende Januar werde ich diesen Artikel nochmal updaten, um euch zu beschreiben, was sich bis dahin getan hat, denn bis dahin habe ich Zugriff.

Das verspricht der Hersteller, Lieferumfang

Der Hersteller verspricht zumindest perspektivisch ein Study-Level-Modell der Embraer-Familie (jeweils “kurze” 170/175 und “lange” 190/195 werden als Pakete verkauft, bisher verfügbar ist aber nur die 175er-Variante), derzeit sei man davon aber noch entfernt, einige wichtige Systemmodellierungen fehlten noch. Das Außenmodell ist – so verstehe ich die Aussage auf der Homepage – von X-Crafts übernommen, die eine Embaer-Simulation für X-Plane anbieten (vermutlich dann diese hier). Systemsimulationen seien teilweise vorhanden, weitere folgten, und auch das Flight Management System (basierend auf dem LOAD27-Softwarestand) und das Autoflight-System sind noch nicht vollständig.

Der kommunizierte Preis beträgt 33,57 € + Steuer, bei Aerosoft 39,95 €, und er wird steigen, wenn später mehr Features hinzukommen (und je weniger Early Access das Produkt dann ist).

Was mir übrigens schmerzlich fehlt ist eine vernünftige Dokumentation. Es gibt zwar eine Website, die rudimentär einige Informationen gibt, aber das ist nicht dasselbe wie eine detaillierte Dokumentation inklusive einer Einführung, wie sie andere Addon-Produkte mit ähnlichem Preispunkt haben.

Das Original

Die Embraer E-Jet-Familie ist neben der Dash 8-Q400 und der CRJ, beide von Bombardier, einer der dominierenden Regionaljets. Es handelt sich um ein relativ neues Flugzeug, erste Auslieferungen der kleinsten Variante E 170 erfolgten im Jahr 2004. Im Gegensatz zu den beiden Bombardier-Flugzeugen gibt es daher auch ein deutlich umfassenderes Avionik-Paket mit Autothrottle, so dass die Flieger ähnlich komfortabel wie die nächstgrößeren Flugzeuge von Airbus und Boeing betrieben werden können. Die E-Jets verfügen auch über ein Fly-By-Wire-System, über dessen Charakteristik ich aber auf die Schnelle nichts finden konnte.

Persönlich habe ich die E-190 (oder 195), mit der ich mal von München nach Schweden geflogen bin, eher als unkomfortabel und eng in Erinnerung, aber ich mag mich täuschen – öfter hat es mich auch bisher nicht in einen E-Jet verschlagen.

Außenmodell

Das Außenmodell gefällt mir sehr gut – ich würde behaupten, hier ist kein Feinschliff mehr notwendig.

Schön finde ich die Details. Hier zum Beispiel am Fahrwerk, die Dichtung um den Fahrwerksschacht habe ich so auch noch nicht in einem Simulationsmodell gesehen.

Hier der Lufteinlass der APU:

Hier ein paar Details der Triebwerke:

Und man kann von außen auch die Pilotinnen erkennen:

Die Kabine ist auch sehr schön getroffen.

Cockpit

Das Cockpit ist deutlich klarer und einfacher gestaltet als bei den älteren Flugzeugen. Es dominieren die großen Displays, zusätzlich gibt es aber noch traditionelle kleine Konsolen zur Programmierung des Flight Management Systems. Die Steuerhörner sind – wie zum Beispiel bei der Concorde – abgeknickt. Unter den FMS-Konsolen zu erkennen sind zwei Touchpads, mit denen in der Realität Eingaben in den Displays getätigt werden können. In der Simulation aber nicht – da klicken wir dann einfach direkt in die Displays. Allerdings wird der Zoomlevel und noch einiges anderes auch in der Simulation über Drehrädchen an den Touchpads gesteuert.

Das Overhead-Panel:

Ungewohnt ist die Darstellung auf den Displays, wenn man aus der Boeing- und Airbus-Welt kommt – der Horizont hat eine Farbverlauf ;). Die Displays sind größer, die Schrift erscheint mir kleiner – das ist grundsätzlich kein großes Problem, macht es aber alles in meiner Oculus Rift (nicht S) schwierig zu entziffern. Ich habe mich oft dabei ertappt, wie ich mich ziemlich vorbeugen musste, um zu erkennen, wie hoch ich bin.

Hier ein Beispiel für die Mausbedienung: Drop-Down-Menüs, wofür es bei anderen Flugzeugen eine Vielzahl an Knöpfen gibt. Das gefällt mir, das ist mal eine andere Bedienung.

Die Konsole für das Flight Management System, die MCDU, wiederum ist reichlich konventionell.

Zur Steuerung der Simulation selbst gibt es das mittlerweile übliche Tablett. Bisher hat es noch nicht viele Funktionen: Türen öffnen und schließen, Zero Fuel Weight ablesen, das war es im Wesentlichen – es soll aber noch mehr kommen, mindestens die Kalibrierung des Gashebels mit dem nächsten Update ist geplant.

Soweit sieht das alles gut aus – die grafische Modellierung gefällt mir gut!

Flugeigenschaften, Handling, Performance im Simulator

Da gibt es aus meiner Sicht nichts auszusetzen – mit Ausnahme des Bugs, dass ich mit meinem als “Gashebel-Achse” konfigurierten Throttle nur das rechte Triebwerk steuern konnte. Workaround: Doppelbelegung des Throttles (unter Ignorieren des MSFS-Protests) so, dass Gashebel 1 und Gashebel 2 auf einer Joystick-Achse liegen.

Ansonsten fliegt sich der kleine Jet sehr gutmütig, die Landungen waren alle sehr sanft. Halt – der Spoiler hatte bei mir nicht wirklich einen Einfluss auf die Sinkgeschwindigkeit, aber auch diesen Bug kann man ja sicher schnell ausmerzen.

Oh, und die Performance im Simulator ist mir auch in VR in keiner Weise negativ aufgefallen – die Simulation lief butterweich.

Der Knackpunkt – Modellierung der Systeme

Etwas haarig wird es aber, wenn wir uns mal dem Autopiloten und dem Flugmanagementsystem widmen. Laut Homepage ist das bisher eine Mischung aus Standard-MSFS-Software und eigenen Implementierungen, was mich als Nutzer aber weniger interessiert. Mich interessiert eher: Lässt sich das Ding gut bewegen?

Und das lässt es sich leider bisher nur begrenzt. Ok, eine vertikale Navigation (VNAV) fehlt, also fliege ich den Steigflug mit Autothrottle und dem Autopilot-Modus FL/CH, der – so hatte ich das erwartet – den Pitch so anpasst, dass die eingestellte Geschwindigkeit erreicht wird. Beim Steigflug war das aber ein wilder Ritt mit Wechselwirkungen zwischen Autothrottle und Nickwinkel, mit starken Geschwindigkeitsänderungen, eher wie auf einer Achterbahn. Ich würde erwarten, dass hier noch nachgebessert werden muss, insbesondere in der Parametrierung des Reglers.

Reglerauslegung ist ja oft ein Problem in Simulationsmodellen, siehe mein Review zur MD-11, weil die Parameter natürlich nicht offengelegt sind, und man das entweder selbst ausprobiert bis es passt oder die Regler in der Realität oder in einem Referenzsimulator testet, beispielsweise mit Sprungfunktionen oder ähnlichem, und damit quasi ein Reverse-Engineering durchführt. Mir als Nutzer reicht es schon, wenn das alles halbwegs plausibel funktioniert, aber Achterbahnfahrten finde ich ärgerlich bei einem typischen Feierabendflug. Beim Sinkflug habe ich übrigens nach kurzer Zeit auch wieder die Finger vom FL/CH-Modus gelassen – der Sinkflug anhand der Sinkratenvorgabe hat gut funktioniert.

Schön finde ich die Mausbedienung des Kartendisplays, auch des Zooms mit dem Drehrädchen – leider funktionierte das nur manchmal, so dass ich bei meinem Flug Köln-München die meiste Zeit einfach nicht wusste, wo ich war – die Anzeige war eingefroren. Wobei – die Anzeige der Wegpunkte im Primary Flight Display hat immer funktioniert, es scheint also “nur” ein Problem der Anzeige selbst zu sein, nicht des Flight Management Systems. Und es ist auch besser geworden mit dem finalen von mir getesteten Update.

Was mich aber sehr begeistert hat: Das Flight Management System übernimmt den Flugplan des MSFS (ohne SIDs und STARs, aber immerhin!), das vereinfacht für mich Feierabendflüge sehr. Und ich vermute, das ist auch nahe an der Realität, in der die wenigsten Piloten noch händisch Routen eintippen. Und auch sonst war die Bedienung des Flight Management Systems über die MCDU ein Kinderspiel.

Wobei, auch hier ein Kritikpunkt: Auf der PROG-Seite wird ja die verbleibende Strecke zum Zielflughafen angezeigt, insbesondere ohne VNAV ist das eine wichtige Information. Allerdings stimmte die Angabe nicht mit den Distanzen überein, die in der Flugplanansicht zwischen den einzelnen Wegpunkten stehen. Das ist mir aufgefallen, als ich irgendwo bei Ingolstadt viel zu tief war :). Das mag im echten Flugzeug auch so sein, kann ich nicht sagen – ich hätte es einfach anders erwartet, weil ja “Distance To Go” eben suggeriert, dass es auf den geplanten Pfad bezogen ist.

Fazit – Warten oder Starten?

Lasst uns mal zusammenfassen, was wir hier vor uns haben: Einen Flieger mit sehr schöner grafischer Modellierung, der sich gut händisch fliegen lässt, aber der sich noch nicht so wirklich gut mit dem Autopiloten von A nach B kommt. Das würde sich schon verbessern, wenn die Anzeige der Karte permanent funktionieren würde, und vielleicht noch, wenn der Autopilot etwas verbessert werden würde. Wenn dann noch – sollte das nicht in der Realität auch so sein – ohne mühsames Kopfrechnen die Information über die verbleibende Strecke vorliegt, dann lässt sich ein Flug schon ganz gut durchführen.

Insofern wäre mein Fazit: Warten, mindestens bis die entsprechenden Fehler behoben sind (sinngemäß:  das was da ist sollte funktionieren!). Oder: wenn ihr ein Flugzeug haben wollt, das auch in seinem Autoflight-System der Realität entspricht, lieber bis zum finalen Release warten.

Ich werde – wie gesagt – Ende Januar, bevor mein Zugang abläuft, nochmal fundiert mit dem Flieger unterwegs sein und diesen Artikel korrigieren, sollte sich bis dahin etwas verbessert haben.

Bleibt noch die Diskussion über den Preis. Hier muss man einfach feststellen, dass für einen Preis von 40 bis 50 Euro für ein Kurzstrecken-Addon doch durchaus andere Qualität geboten wird: Die Aerosoft CRJ für 50 Euro hat ein vergleichbares Einsatzprofil, ist etwas umkomfortabler zu fliegen weil ohne Autothrottle. Aber selbst die PMDG 737-600 gibt es (nur aktuell?) für 35 Dollar plus Steuern, und deren Qualität und Lieferumfang sind ein ganz anderes Kaliber – da muss Flightsim Studio beim finalen Release schon noch einiges mehr bieten.

Informationen

Pro Contra
  • Grafische Modellierung toll
  • Flugplanübernahme aus MSFS
  • Grundsätzlich: Die E-Jets sind mal was anderes, und lassen sich auch komfortabler fliegen als die anderen Regionalflugzeuge.
  • Zusammenfassend: Dieses Flugzeug hat Potential.
  • vollständige Modellierung Autoflightsystem folgt erst später
  • Erste Fassung hat noch einige Bugs (Kartendisplay, FMS PROG Page, Regelung des Autopiloten), die einen normalen Flug nicht unbedingt vereinfachen (–> selbst das was da ist funktioniert noch nicht richtig)
  • Zusammenfassend: Hier gibt es noch viel Potential, auch für einfache Verbesserungen.
  • Das Preis-Leistungsverhältnis ist im direkten Vergleich zu Konkurrenzprodukten nicht ganz so gut.
Testsystem
  • AMD Ryzen 5 5600X @ Stock Speed
  • Oculus Rift CV 1
  • GeForce GTX 1080, 8 Gb
  • Windows 11×64, 32 Gb Hauptspeicher
  • Diverse SSD

Dr. Patrick Seiniger

9 Comments
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Will
Will
1 Jahr zuvor

Bruchlandung mit Ansage. PR-Technisch haben sich Flightsim Studios echt ins eigene Bein geschossen, in dem die mit den ersten Videos die Erwartungen hochgeschraubt haben und dann meinen ein absolut unfertiges Flugzeug als “Early Access” verkaufen zu müssen. Der erste Stream vor ein paar Tagen kam echt nicht gut an, das Ding konnte gefühlt nicht viel mehr als die meisten Default-Flieger und dann wollen die auch noch 40 Ocken dafür.

Und bei allem Respekt, für mich sieht das eher nach verkapptem Crowdfunding als nach Early Access aus. Man hat keine Garantie, dass bei einem Kauf tatsächlich irgendwann ein fertiges Produkt erscheint. FSS wären nicht die ersten, die so ein Projekt gestartet und dann nicht geliefert haben. Da gabs so einiges (Digital Aviation Fokker, AirSimmers A320…).

Diese Review (danke dafür übrigens) bestätigt leider jegliche Kritik. Das Ding ist weitgehend unbrauchbar. Klar kommt man von A nach B, aber das schaff ich auch mit der Default 787. Auf VATSIM oder IVAO brauch ich damit aber nicht gehen, wenn ich nicht mal spontan einen Holding programmieren und fliegen kann.

Sorry, not sorry, aber das Ding ist das Geld nicht wert und in dem Zustand kauft man die Katze im Sack. Lieber zahl ich mehr für ein vollständiges Produkt, als 40€ in eine ferne Zukunft zu investieren und nicht mal zu wissen, ob diese überhaupt so kommt…

Wünsche trotzdem viel Erfolg mit dem Ding. Sobald eine finale Fassung mit einer Systemsimulation auf wenigstens IniBuilds A310 Level da ist, schau ich nochmal rein.

Alex
Alex
Beantworten  Will
1 Jahr zuvor

Das ist richtig. Es ist eine Unverschämtheit, ein solches Produkt zu einem solchen Preis zu verkaufen! Das ist so, als würde man eine scenery Berlin-Brandenburgische für 20 Euro verkaufen! Es kann nicht einmal mit der Qualität der Scenery von ORBX verglichen werden, die weniger kosten!

Stefan
Stefan
Beantworten  Will
1 Jahr zuvor

Die DA Fokker konnte wesentlich mehr – Was da nicht nachgeliefert wurde war das VC (Und auch nur den Kunden der ersten paar Tage – Daraufhin wurde dieser Zusatz von der Produktseite entfernt!) – Daher kann man das nicht gelten lassen

Selbst der Airsimmer A320 konnte mehr als dieser Vogel…

ChrisS
ChrisS
Beantworten  Stefan
1 Jahr zuvor

Der Airsimmer https://www.airsimmer.com/ war im FS2004 eigentlich unfliegbar, ständig CTD. Das Teil was eine richtige Frechheit, zwar damals EyeCandy, aber allenfalls eine Alpha-Version, bei der kaum etwas funktionierte. Mit riesigem Hype angekündigt, wurde die Community damals so richtig verarscht; nach Verkauf der “Basic Edition” verschwanden die Entwickler, nichts wurde weiterentwickelt, auch nicht für den da bereits kommenden FSX.

Tomas
Tomas
1 Jahr zuvor

Ausnahme des Bugs, dass ich mit meinem als “Gashebel-Achse” konfigurierten Throttle nur das rechte Triebwerk steuern konnte

Ich habe mich gestern beim ersten kleinen Test gefragt, warum die das so gemacht haben. Das kann doch kein Bug sein?

Dumme Frage: hat der Workaround Auswirkungen auf andere installierte Flugzeuge?

Tomas
Tomas
Beantworten  Patrick - simFlight
1 Jahr zuvor

Danke dir Patrick.

Workaround klappt jedenfalls – andere Flieger teste ich morgen.

Malte
Malte
1 Jahr zuvor

Ich sehe einen unschönen Trend, und zwar dass immer mehr billiger Schrott unter MSFS entwickelt wird. PMDG und Fenix sind gut, aber z.B. die MD11 ist Mist und dieses Teil bis jetzt auch. Die 757 wird wohl auch nicht so doll. MSFS hat den Weg Richtung Arcade-Spiel eingeschlagen.

Schwer_Stark
Schwer_Stark
Beantworten  Malte
1 Jahr zuvor

Das ist kein Trend, das ist seit Jahren so. Man muss schon schwer aufpassen, was man sich für teuer Geld zusätzlich auf die Platte lädt, es ist meist von Amateuren entwickelt, die weder ihr Produkt pflegen, noch eine anständige Grundqualität hinlegen. Da schließe ich Aerosoft auch ausdrücklich mit ein. Es gibt sehr wenige Produkte, die eine angemessene Gegenleistung bringen, und die – das erschwert das Ganze für die Entwickler natürlich auch – das Produktwachstum des MSFS mitgehen (sie werden gezwungen, ihr Produkt aktuell zu halten).

Von daher ist meine Bereitschaft in Investitionen in diesem Bereich sehr gesunken. Die meisten Produkte sind nach einem Jahr nicht mehr zu gebrauchen. Das ist bei X-Plane (10/11) nicht anders gewesen.

Man darf sich nicht von News und Werbung blenden lassen – auch diese Seite hier ist simmarket angeschlossen.