Review: Aerosoft Airbus X

Was passiert, wenn man einen Airbus-Piloten, einen Ingenieur und einen Marketingfachmann den Airbus X von Aerosoft rezensieren lässt? Wir haben den Versuch gewagt und haben Oskar “Oski” Wagner, Ingo Voigt und Holger Kistermann an den Sidestick gelassen. Unter “weiterlesen” erfahrt Ihr, wie das Urteil über die neue Airbus A32X-Simulation ausfällt…


Um den Aerosoft Airbus X zu rezensieren, sind wir gleich mit drei Redakteuren ans Werk gegangen. Bitte gebt uns Gelegenheit für eine kurze Vorstellung:

Oskar Wagner hat bei einer großen Schweizer Fluggesellschaft unter anderem alle Airbusse von  A319 bis A330 als Captain geflogen und durfte auch als Fokker-Werktestpilot Neuflugzeuge bis zur Ablieferungsreife einfliegen. Heute berät und testet er verschiedene Flight Simulator-Projekte. Er verrät uns, wie realitätsnah der Airbus X wirklich ist.

Ingo Voigt ist als Projekt-Ingenieur in der Maintenance einer großen deutschen Airline beschäftigt. Für den Flight Simulator ist er immer wieder in der Entwicklung von verschiedenen Payware-Produkten involviert. Er klärt uns auf, wie alltagstauglich das Addon ist.

Und ich bin Holger Kistermann. Marketingleiter, Betatester, Projektberater. Meine Aufgabe ist es, diese Rezension zu moderieren und das abschließende Urteil zu formulieren.

Doch bevor es losgeht, bedarf es einer Einleitung. Schließlich reden wir ja über eine Airbus-Simulation für den Flight Simulator X – also über ziemliches Neuland. Und solche Simulationen haben es sehr schwer… – nicht nur im Flight Simulator, weil die komplexe Systemlogik kaum auf einem Heim-PC abbildbar ist, sondern auch in der Community selbst, weil die Erwartungshaltung enorm hoch ist.

Während es vor gerade einmal zehn Jahren vollkommen ausgereicht hat, wenn bei einem Airbus das zweidimensionale Cockpit bloß eckig genug war, muss das virtuelle Cockpit heute am besten eine FAA-Zertifikation für die Realpiloten-Ausbildung haben. Die erste ernsthafte Airbus-Simulation machte Wilco mit dem A320 Pilot in Command. Das war im FS2002. Das Addon war damals seiner Zeit weit voraus und war absolut wegweisend nicht nur für Airbus-Simulationen, sondern für die Weiterentwicklung des Microsoft Flight Simulators allgemein. Wie schade, dass dieses Projekt damals in einem unfertigen Entwicklungsstand veröffentlicht wurde und schließlich vom Entwickler kurze Zeit später aufgegeben wurde. Zeitgleich brachte Phoenix Simulation seine Interpretation des Airbus A32X heraus. Obwohl das Addon technisch weit dem Pendant von Wilco hinterher hinkte, war es jedoch immerhin fertig programmiert. Das führte zu einer sehr hohen Beliebtheit, die bis weit in FS2004-Zeiten andauerte. Lange Zeit gab es überhaupt nichts Neues, bis Wilco abermals einen Airbus A320 (und seine kleineren und größeren Brüder) veröffentlichte. Dieses Mal allerdings von einem anderen Entwickler; und sicherlich erfolgreicher.

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Nicht eine Frage des Könnens, sondern eine Frage des Glaubens

Traut die Community Aerosoft zu, einen ernsthaften Airbus zu kreieren? Das ist eigentlich die alles entscheidende Frage, deren Antwort den Verlauf des Projekts maßgeblich beeinflusst haben dürfte. “Ja” war die klare Antwort, die man zwischen den Zeilen der antwortenden User im Forenthread der Projektankündigung entnehmen konnte. Viele wussten bereits: Einen Airbus A320 zu entwickeln, wird eine harte Nuss! Und wenn es einem Entwicklerteam auf der Welt wirklich gelingen sollte, würde es  bestimmt von Aerosoft stammen, denn welcher Publisher hat momentan derart viele hochtalentierte Designer und Programmierer an der Hand? Außerdem ist Aerosoft eine Marke, die eigentlich keinen Schrott produziert. Warum also an dem Erfolg des Projekts zweifeln?

Das Echo auf die Ankündigung des Projekts dürfte selbst Aerosoft überrascht haben. Chef-Entwickler Mathijs Kok versuchte dann auch schnell, die hohen Erwartungen der jubelnden Community zu relativieren, indem er klar sagte, dass der Aerosoft Airbus X eine stark vereinfachte Airbus-Simulation werde. Doch mit dem angekündigten Minimalismus konnten die vielen hundert Schreiber im Aerosoft Forum nicht viel anfangen. Mit jedem Monat, der ins Land ging, wiederholten sich die Fragen der ungeduldigen Airbus-Gemeinde. Beharlich antwortete Mathijs Kok auf praktisch alle Fragen und wurde auch nicht müde, zum zweiunddreißigsten Mal dieselben Antworten zu geben. Kok muss viele Nächte in diesem explodierenden Forenthread zugebracht haben.

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Viele Menschen sind stark visuell getriggert. Die Macht der Bilder hat auch Aerosoft gekonnt eingesetzt. Während das Projekt die Designphase noch nicht einmal abgeschlossen hat, wurde die Stimmung der Community im Aerosoft-Forum mit immer neuen, wunderbaren Bildern angeheizt. Angesichts der Screenshot-Meisterwerke dürfte manch Betrachter die Hinweise auf den Funktionsumfang vergessen haben. Es ist ja auch paradox, denn ein erstklassig designtes Modell geht einfach nicht mit einer rudimentären Systemsimulation zusammen – hier schlägt der visuelle Eindruck die ernüchternde Projektbeschreibung. Und mit jedem “Ah” und “Oh” aus der Community wuchs der Druck auf die Programmierer, nun doch einen Airbus zu schaffen, der auch anspruchsvolleren Kunden gerecht würde. Das war ein Fehler!

Aerosoft hat schnell gelernt, wie man das Internet für virales Marketing benutzen kann. Doch welche Gedanken sich das Marketingteam über die relevante Zielgruppe für den Airbus X gemacht hat, ist im Nachhinein nicht nachvollziehbar…


Für wen ist der Airbus X eigentlich gemacht?

Ginge es nach den ersten Ankündigungen von Mathijs Kok, dann wäre Airbus X das ideale Flugzeug für entspannende Feierabendflüge – ohne eine aufwändige FMC-Programmierung, ohne all zu viel Schnickschnack in der Systemsimulation, aber mit einem grandiosen Modell, das Airbus-Feeling vermittelt. Ginge es jedoch nach der beigefügten Dokumentation, ist Airbus X ein Addon, das eine versierte Zielgruppe anspricht: Unbedarften Feierabendpiloten wird es ohne ausgiebigem Studium des Handbuchs nur schwer gelingen, den Airbus in die Luft zu bekommen. Auf der anderen Seite lässt die überall spürbare Komplexitätsreduktion erfahrene Piloten an ihren Fähigkeiten zweifeln. Auch sie werden ohne flüchtige Blicke in das Handbuch Probleme haben, den Airbus zu bändigen. Das ist ein Paradoxon, das Aerosoft nun selbst nicht mehr lösen kann. Die Frage, wem man dieses Addon empfehlen kann, lässt sich nicht beantworten.


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Die Katze ist aus dem Sack!

Und jetzt? Inzwischen wurde der Airbus X veröffentlicht. Hat er die Erwartungen erfüllt? Ja und nein zugleich. Im Folgenden möchten wir eine Antwort wagen…

Holger: Ingo, Du kennst die Entstehung von Addons auch aus der Entwicklerperspektive. Warum ist die Entwicklung eines modernen Airbus für den Heim-PC anders als bei anderen Flugzeug-Addons?
Ingo: Es fängt schon damit an, dass Airbus (speziell ab dem A320) eine sehr eigene Philosophie hat. Die Systeme sind deutlich weiter in einander integriert – wir merken das bei uns in der Maintenance bspw. dadurch, dass man beim Airbus einiges mehr an Arbeiten aus dem Cockpit im Zusammenspiel mit dem ECAM machen kann als es bei den meisten Boeings der Fall ist. Möchte man also einen Airbus für den FS nachbauen, muss man auch recht weit die Interaktion der Systeme nachbilden. Das ist natürlich ein anderer Aufwand als bei den einzelnen Systemen einer Boeing 727 , die sich mit deutlich weniger Interaktion zu einandern  programmieren lassen. Das heißt nicht zwingend, dass es schwerer ist, einen Airbus zu programmieren. Aber Schnittstellen (in diesem Fall zwischen den Systemen) bieten immer eine gewisse Fehlerquelle.


Holger: Hat sich Aerosoft sich mit der Idee, das Airbus-Konzept zu simplifizieren, einen Gefallen getan hat? Kann man überhaupt die Airbus-Systemlogik sinnvoll beschneiden?
Oski: Genau das ist die entscheidende Frage. Ich lese immer wieder das Argument vom feierabendpilotentauglichen Airbus. Man kann es drehen und wenden, wie man will – das gibt es einfach nicht.  Das Resultat ist immer das gleiche: es gibt ein Flugzeug, das aussieht wie ein Airbus – bei dem Einen etwas schöner als beim Anderen. Aber es ist kein Airbus. Ich kann es auch etwas ketzerischer ausdrücken: der Feierabendpilot fliegt eh nur Flugzeuge, die seinen Wunschvorstellungen entsprechend aussehen. Den technisch-fliegerischen Teil will er gar nicht verstehen, geschweige denn beanspruchen. Eine tiefe Systemsimulation ist aber nun mal nicht feierabendtauglich!
Ingo: Meines Erachtens nein. Ich finde, dass es kaum ein ungeeigneteres Flugzeug für den Simplifizierungs-Gedanken als einen Flieger der A320/330/340/380 Familie gibt. Vor allem in dem Kontext, dass es einen manierlichen Default Airbus gibt (der sehr simpel gehalten ist) und ansonsten kaum ein Muster, das aktuell von so vielen Entwicklern bearbeitet wird (wir denken mal an Wilco, an Airsimmer, an Justflight und an FS Labs). Hier hat man sich strategisch keinen Gefallen getan. Technisch finde ich den Airbus auch ungeeignet, weil das Zusammenspiel aus Flight Guidance, MCDU und ECAM beim Airbus das Herzstück ist. Das ist für mich so, als wenn ich die Karrosserie von einem Porsche auf das Fahrwerk von einem Polo setzen will – natürlich ist es technisch möglich, aber es wird nichts dabei herauskommen, was Spaß macht.

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Holger: Brachland, heißt es, lässt sich gut beackern. So auch bei einer Airbus-Simulation für den Flight Simulator. Für den FSX gibt es bisher keine ernst zu nehmende Umsetzung. Ich glaube, dass Aerosoft trotz allem einen guten Weg eingeschlagen hat. Nicht nur wegen der vermutlich hohen Umsatzrelevanz für das Unternehmen, sondern auch für die Community. Ein Airbus A32X wird  derart dringend benötigt, dass die Qualität der Umsetzung schon beinahe zweitrangig ist. Damit möchte ich bewusst provozieren, denn wenn die Umsetzung der Airbus-Systemlogik der Quadratur des Kreises gleicht, ist die Frage nach dem “wie” nicht so wichtig wie die Frage nach dem “ob”.
Oski: Ich habe die Frage eigentlich oben schon beantwortet: Wir haben einfach ein Flugzeug mehr auf den Add-On Markt, das aussieht wie ein Airbus. Wenn es das ist, was die “Feierabendpiloten” (ich meine dies jetzt nicht abwertend)  wollen, dann kann ich damit leben. Störend daran ist nur, dass eben diesen Simmern vorgegaukelt wird,  sie würden einen Airbus fliegen. Das tun sie nie und nimmer. Sie fliegen irgendwas – aber ganz bestimmt KEINEN Airbus. Ich bin aber nach wie vor überzeugt, dass eine weitestgehende Airbus-Simulation möglich ist, wenn das Konzept von Fachleuten ausgearbeitet wird.


Holger: Dass Du als Realpilot mit Airbus-Typerating das anders siehst, wundert mich nicht. Dennoch möche ich für Aerosoft eine Lanze brechen. Die Entwicklung einer weniger komplexen Simulation für den Otto-Normalpiloten ist ja grundsätzlich eine gute Idee. Doch was hat denn Aerosoft Deiner Meinung falsch gemacht?
Oski: Das ganze Konzept ist falsch. Wenn man schon eine Vereinfachung versucht, sollte man wenigstens die Dinge, die relativ einfach zu programmieren sind (und bei Konkurrenzprodukten durchaus funktionsfähig sind …) auch so zur Anwendung bringen. Ich denke z.B. ganz konkret and zwei Dinge, die ein modernes Autoflight-System einfach können muss: Einerseits eine Open Climb/Open Descent Funktion und damit zwangsweise einhergehend den klaren Unterschied zwischen Thrust- und Speed-Mode beim Engine-Management. Ein FADEC-Verhalten der Triebwerke haben ebenfalls Konkurrenten (sogar im eigenen Haus) perfekt programmiert. Die Art und Weise, wie hier ein schreckliches Mischmasch von Vertikalprofil und Triebwerksteuerung programmiert wurde, ist für mich völlig unverständlich und auch mit den ausschweifendsten Erklärungsversuchen nicht nachvollziehbar! Wenn dann die üblichen Berufsjubler in den Foren sowas noch über den grünen Klee loben, ist für mich die Grenze der Perversion erreicht.
Ingo: Aus meiner Sicht hat man sich das falsche Muster ausgesucht, um zu simplifizieren. Es ist ja schon extrem schwer, ein Flugzeug mit vielen Schnittstellen gescheit zu programmieren (siehe Airsimmer), aber dann noch diese Interaktion vereinfachen zu wollen, halte ich für den falschen Ansatz. Vor allem hat dann meines Erachtens nach auch noch falsch herum programmiert – als erstes sollte man aus meiner Sicht die vollständige Systemumsetzung programmieren. Von da aus kann man dann vereinfachen. Auf Stammtisch Niveau gesprochen; es ist einfacher zu kastrieren, als ein zeugungsunfähiges Tier auf natürlichem Weg zu züchten.

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Holger: Der Vergleich zu anderen Produkten dieses Genres liegt auf der Hand. Auch Commercial Level Simulations (CLS) bauen simplifizierte Flugzeuge – und erreichen damit auch ganz offensichtlich auch ihre Zielgruppe. Was unterscheidet denn ein Produkt von CLS vom Aerosoft Airbus X?
Ingo: Die Wahl der umgesetzten Muster. Es läuft für mich leider immer wieder auf die Interaktion der Systeme hinaus. Die schlägt einfach bei einem A300, einer B767, oder eben einer MD80 nicht so durch, wie bei einem Airbus. Wie eben schon angesprochen hätte ich auch den Weg vom Komplexen ins Simple gewählt und nicht erst mal das Simple programmieren und releasen und danach dann Schnörkel und Schleifchen dranmachen. Oski spricht es ja auf Bedienungsebene ähnlich an.

Oski: Wie ich schon gesagt habe, den feierabendtauglichen Airbus gibt es nicht. Es ist ein Flugzeug geworden, das ein fantastisches VC zeigt und tatsächlich wie ein Airbus aussieht. Aber es gibt praktisch keine Funktion, die mit dem wirklichen Airbus etwas gemeinsam hat. Ein Vergleich mit PMDG oder Level-D ist  faktisch gar nicht möglich, da sich die Entwickler ja schon vorgängig aus dieser Liga verabschiedet haben.


Holger: Das geht schlecht, denn der Aerosoft Airbus X ist in meinen Augen ein Widerspruch in sich. PMDG, Level-D, FSLabs – um nur einige zu nennen – haben stets versprochen, dass sie Flugzeuge mit einer komplexen Systemsimulation programmieren werden. Aerosoft hat das Gegenteil versprochen. Doch während die Umsetzung einiger Systeme nur an der Oberfläche kratzt, werden andere recht tiefgehend simuliert. Und dies leider teilweise falsch. Der Airbus X pendelt sich somit zwischen CLS und Level-D, PMDG etc. ein – wenn auch die umgesetzte Systemlogik teilweise arg abstrakt ist. Fragt sich nur, ob die Community dieses Konzept würdigt oder nicht.


Holger: Aerosoft hat ja eine umfangreiche Features-Liste veröffentlicht. Insofern ist es klar, welche Punkte für eine objektive Rezension von Belang sind und welche gar nicht behandelt werden müssen. In welchen der genannten Punkte schlägt sich der Airbus X gut? Was kann man denn als realistisch bezeichnen?
Oski: Nun, die reinen Systemanzeigen, die nichts mit der Flugführung zu tun haben, sind mehrheitlich sauber dargestellt. Aber da muss ich eben wieder etwas relativieren: Das widerspricht ja eigentlich dem Konzept des Feierabendpiloten. Ich glaube nicht, dass er sich wirklich ernsthaft um die Kabinentemperatur oder die Druckkabinenanzeige kümmert. Das Durchblättern der ECAM-Seiten ist bestimmt eine zeitlang interessant. Aber wenn man sie mal kennt, verlieren sie ihre Faszination. Kaputt geht ja eh nicht gerade viel. Daneben sind eben noch viele kleine Fehler vorhanden, die eigentlich im Betatest ausgemerzt werden sollten, bevor das Produkt auf den Markt kommt. Ein CRC z.B. (Continuous Repetitive Chime = auf Deutsch Dauergebimmel) nach dem Abstellen der Triebwerke ist kompletter Blödsinn. Die Airbus-Logik weiss nämlich schon, dass am Boden mit abgestellten Triebwerken kein Hydraulikdruck mehr vorhanden ist und deshalb keine Warnung mehr generiert werden muss. Offensichtlich wussten nur die Programmierer dies nicht.


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Holger: Und in welchen Punkten weicht der Airbus X vom Soll ab?
Oski: Eigentlich in allen Punkten, die das Autoflight-System betreffen.  Ich zitiere aus der Pressemitteilung: “Genaue Umsetzung aller Systeme (ausgenommen die besonders komplexen FMC-Funktionen), ….Sehr genaues ‘Fly-by-Wire’-System.” Ich habe mich etwas über die fehlenden Superlative gewundert. Normalerweise garniert man solche Beschreibungen noch mit dem Attribut “tested by real world pilots” oder ähnlichem, aber im Nachhinein verstehe ich, warum sie nicht angewendet wurden. Denn auch ohne Superlative muss ich noch große Abstriche machen. Weder ist das Fly-by-wire “sehr genau” noch sind alle Systeme “genau” umgesetzt. Es gibt ja neben den “besonders komplexen FMC-Funktionen”  auch noch eine zwar moderne, aber doch recht einfache Flight Guidance, die keinesfalls auch nur annähernd “genau” arbeitet. Da wären solche “Kleinigkeiten” wie ein Autopilot-Disconnect beim Aufsetzen während eines Autoland-Approaches geradezu vernachlässigbar – würden sie nicht bestätigen, dass am ganzen Konzept so ziemlich alles falsch ist, was falsch sein kann. Sogar den FPV (Flight Path Vector) sucht man vergebens.



Holger: Einer der von Dir angesprochenen Punkte ist das Autoflight-System, also der Autopilot. Man muss wissen, dass der FSX sich in seiner Simulations-Engine stark an den Boeing-Systemen anlehnt. Die weicht stark von der Airbus-Philosophie ab, so dass Airbus-Entwickler es zwangsläufig irgendwie schaffen müssen, die FSX-Simulationsengine zu überlisten. “Ist halt Boeing” mag bei einer 737 reichen, bei einem A320 geht das aber nicht mehr. An welchen Punkten genau ist denn Aerosoft gescheitert?
Oski: Das ist das grösste Missverständnis! Die Flight Guidance selbst ist ja gar nicht so unterschiedlich zwischen Boeing und Airbus. Nur die Bezeichnungen und die Bedienung weichen ein wenig voneinander ab. Während Boeing von LNAV und VNAV spricht, ist dies in der Airbus-Terminologie Lateral Managed und Vertical Managed Mode. das Resultat ist aber praktisch dasselbe. Und da ist halt extrem gesündigt worden. Wie ich oben schon angemerkt habe, ist das Konzept grundfalsch aufgegleist worden. Anstatt sich darüber Gedanken zu machen, wie man eine tragbare Vereinfachung erreichen könnte, hat man sich auf eine äusserst seltsame Form eines Climb Profiles eingeschossen, die nicht einmal im entferntesten etwas mit einer modernen Flight Guidance zu tun hat. Kommt eben leider noch dazu, dass auch die Bedienung der Selector Knobs und die Anzeigen am FMA stark von der Realität abweichen und ebenfalls sehr fehlerbehaftet sind.

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Holger: Können das denn andere Addon-Designer besser?

Ingo: Ja, hier zeigen (leider) Wilco als auch Airsimmer besser, wie man einen Airbus im Simulator abbildet. Bei beiden Produkten hat man wenigstens probiert, diese grundlegenden Modi zu programmieren und nicht für den User vorzuentscheiden, was er nutzen möchte.

Oski: Der Vergleich mit z.B. Wilco ist schnell gemacht. Wilco zeigt richtige Thrust Modes und auch Open Climb/Descent ist richtig programmiert. Zudem gibt es immerhin eine Art Managed Climb und Descent. Managed Climb ist eh nichts weiter als ein Open Climb mit optimierter Climb Speed durch den FMGC sowie je nach FMCG-Typ mit Berücksichtigung allfälliger Höhenrestriktionen. Beim Managed Descent wirds dann eher knifflig. Dieser ist ja bei Wilco bekannt fehlerbehaftet, aber das Grundprinzip ist immerhin richtig. Beim Airbus X kann es gar keinen Managed Descent geben, da dies eine der komplexen FMGC-Funktionen ist –  und die sind  ja explizit ausgenommen. Das Fly-By-Wire ist bei beiden etwa gleich (schlecht).



Holger: Oski, Du sagst, der Managed Mode sei bei feelThere besser umgesetzt. Das klingt für viele Leser sehr abstrakt. Was macht denn der reale Airbus eigentlich im Managed Mode? Und was müsste der Airbus X im Managed Mode eigentlich anders machen? Schließlich ist das ja der wichtigste Autopilot-Modus, den ein Airbus hat…
Oski Es kann beim Airbus X keine Managed Modes geben, weil eben diese Funktionen des Flight Management and Guidance Computers (FMGC) nicht programmiert sind. Erstaunlichweise wird in den Foren bar jeglicher Sachkenntnis munter über Managed Modes diskutiert. Für den Steigflug hätte man dies aber immerhin ein bißchen annähern können, wenn eben die Thrust Modes – oder genauer gesagt das FADEC – richtig umgesetzt worden wäre. Ich möchte diese Funktion im Zusammenhang mit Open/Managed  Climb etwas genauer erklären:
Ein Open Climb ist eigentlich das, was man normalerweise händisch versucht, einigermassen passabel hinzukriegen: Climb Power setzen (das FADEC regelt diese immer genau nach den herrschenden atmosphärische Bedingungen) und eine praktikable Geschwindigkeit halten. Solange ich manuell oder mit einem Default-Autopiloten fliege, werde ich die Steiggeschwindigkeit so regeln, dass daraus die gewünschte Airspeed resultiert. Bei einem Open Climb tut der Autopilot nichts anderes: Das FADEC regelt die Triebwerke auf die maximal verfügbare Leistung für den Steigflug und der Autopilot hält die vorgegebene Geschwinkdigkeit, indem er den Steigwinkel (Pitch) anpasst. Die Resultierende daraus ist die Vertical Speed. “Managed” in diesem Zusammenhang heißt dann vereinfacht nur noch, dass der FMGC die Airspeed automatisch vorgibt und – wie schon angesprochen – allfällige Steigflugrestriktionen steuert. Praktisch alle höherwetigen Modelle (PMDG, Level-D, DA Fokker, Wilco, SimCheck) beherrschen diese Funktion einwandfrei. Beim Airbus X fehlen dazu beide Hauptkomponenten: eine saubere Triebwerksteuerung und Speed Hold by Pitch. Die Triebwerksteuerung ist – und das muss ich an dieser Stelle unmissverständlich festhalten – grottenschlecht, absolut unrealistisch und unbrauchbar. Bei Thrust Modes wie MAN TOGA oder THR CLB um nur zwei davon zu nennen, haben die Triebwerke nur eines zu tun – nämlich den kommandierten Schub zu halten und nichts anderes! In einem Thrust Mode kann ein FADEC die Leistung NICHT reduzieren, deshalb heissen sie auch Thrust Modes – im Gegensatz zu den Speed Modes, wo der variable Schub dazu verwendet wird, um die gewünschte Geschwindigkeit zu halten. Über Managed Descent möchte ich jetzt gar keine Worte verlieren, da dieser wie schon mehrfach gesagt, nicht implementiert sein kann, weil die Hauptkomponenten dazu fehlen. Darüberhinaus ist dieser Teil der Flight Guidance wirklich sehr komplex. So leid es mir tut: was uns die Programmierer von Airbus X in dieser Beziehung vorsetzen, entbehrt jeglicher Realität! Das ist keine Vereinfachung, sondern eine Vergewaltigung eines Airbus!


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Holger: Offenbar wurde das Hauptaugenmerk im Projektverlauf auf das Design gelegt. Ich habe bisher noch nie ein solch perfekt designtes Airbus-Modell im Flight Simulator gesehen. Ingo, Du kennst sehr viele CAD-Programme für die Erstellung von 3D-Modellen – wie beurteilst Du eigentlich das Außenmodell vom A320?
Ingo: Im Laufe meines Studiums und auch meiner Tätigkeit an einem Fraunhofer Institut habe ich mit vielen Programmen arbeiten dürfen, die 3D-Geometrien verarbeiten (CAD und FEM). Irgendwie hat es mich aber noch nie erwischt, dass ich im FS etwas modelliere – ich habe mal angefangen, mit GMAX zu arbeiten, aber das ist in der Bedienung sowas von fernab von einer gescheiten CAD Software, dass ich es schnell wieder gelassen habe. Wahrscheinlich bin ich aber schlicht zu dusselig; das ist aber nicht das Thema.
Der Airbus
von Aerosoft ist sehr schön modelliert und die Proportionen passen sehr gut. Der geringe Einschlag auf die Performance spricht für eine recht saubere Modellierung mit möglichst wenigen Polygonen. Auch im VC setzt sich diese ordentliche Gestaltung fort. Es sollte sich aber auch jeder im Klaren sein, dass ein Großteil des Eindrucks eines 3D-Modells nicht durch die Gestaltung als viel mehr durch das geschickte Texturieren erzeugt wird. Hier hat Aerosoft ebenso gute Arbeit geleistet.


Holger: Ist der A321 eigentlich nur eine verlängerte Version des A320 oder gibt es weitere Unterscheidungsmerkmale?

Ingo: Es gibt durchaus weitere Unterschiede – sie sind (vom Flugverhalten mal abgesehen), aber aus Sicht eines Laien marginal. Ein Pilot auf der A320 Familie würde mir für die Aussage vielleicht den Kopf abschrauben, aber man muss schon sehr genau hinschauen, um die Unterschiede zu sehen. Zum Beispiel ist das Air Conditioning und das Fuel System des A321 etwas anders aufgebaut als das der A319/320. Ebenso gibt es leichte Unterschiede in den Anzeigen (Fuel Seite und Engine Seite des ECAM). Auch die Anordnung der stdby Instrumente ist anders als beim A320. Beim Flugverhalten kann ich nur auf Höhrensagen zurückgreifen – die 321 ist wohl etwas “schwammiger” als die 320 oder besonders die 319. Das liegt vor allem aber wohl an den größeren Dimensionen. Ebenso soll die Geräuschkulisse des 321 ganz anders klingen als beim 320. Es gibt aber noch ein anderes interessantes Detail: Beim A320 gibt es einen Unterschied auf dem Overhead Panel unten rechts, je nachdem ob er mit IAE oder CFM Motoren unterwegs ist. Bei den IAE Motoren gibt es dort zwei Pushbuttons für N1 Modes – beim 320er mit CFM-Öfen nicht. Wir Simmer vergessen aber immer wieder, dass auch in einer Flotte einer Airline durch unterschiedliche Modifikationsstände ein Flugzeug anders aussehen kann als das andere. Sollte nicht, aber wie will man denn eine Modifikation auf einen Schlag durchführen? Man kann ja nicht einfach mal eben eine ganze Flotte grounden …


Holger: Und hat Aerosoft diese berücksichtigt?
Ingo: Was ich an Unterschieden auf System-Ebene (nicht Flugverhalten) angesprochen habe; nein.


Holger: Mir ist aufgefallen, dass die Texturen sehr gut gelungen sind. Nur bei der Lufthansa-Bemalung gibt es einen fiesen Schönheitsfehler: Der Kranich “fliegt” auf der rechten Rumpfseite in die falsche Richtung. Ist das ein Fehler im Paintkit oder in der Bemalung?
Ingo: Fehler ist behoben in V1.11

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Holger: Und wie beurteilst Du Look & Feel vom virtuellen Cockpit? Ist alles dort, wo es hingehört?
Ingo: Das Look & Feel ist sehr nah an einem Airbus Cockpit. Irgendwie kommt bei mir dennoch nicht die gleiche Stimmung auf, als würde ich mich auf der Arbeit im Hangar in ein Airbus- oder Boeing Cockpit setzen. Hier haben PMDG bei der JS41 und der MD11 als auch Airsimmer beim Airbus im FS9 das Feeling besser getroffen. Mir gefallen bei Airsimmer die Fonts besser, die Sitzposition ist näher am realen Vorbild – beim Aerosoft Airbus machen aus meiner Sicht gerade die nicht stimmigen Fonts auf dem PFD und ND viel von der Airbus Atmosphäre kaputt.


Holger: Diese Frage kann wohl nur Oski beantworten – Oski, fühlst Du Dich im Airbus X eigentlich “zu Hause”? Bringt das Modell echte Airbus-Atmosphäre rüber? Oder hättest Du etwas anders gemacht?
Oski: Das ist ja das, was mich an der ganzen Geschichte  etwas traurig stimmt. Das Cockpit ist hervorragend modelliert – also der “Look”-Anteil ist unbestritten etwas vom Besten, was auf dem Markt ist. Die Anzeigen (Display-Fonts) weichen allerdings, wie Ingo schon sagt, erheblich vom Original ab. Beim “Feel” geht dann alles kaputt. Wenn ich z.B. den Altitude Selector ziehe und daraus ein Vertical Speed Mode resultiert, dann ist das ganze Feeling am A…. Auch wenn dies zugegebenermaßen die meisten Simmer nicht stört – es ist einfach grundfalsch und beileibe nicht die einzige falsche Umsetzung – aber darüber habe ich jetzt genug gesprochen.
Interessanterweise ist ja einer der Hauptkritikpunkte das Fehlen von SIDs und STARs – also ein grosser Teil der “Partitur” des “FMGC-Klaviers”. Dies stört mich eigentlich am wenigsten: Einerseits, weil mir klar war, dass die Flugplanungs-Funktion nicht verwirklicht werden würde, da sie definitiv zu den komplexeren Funktionen des FMGC gehört – andererseits, weil ich  für die Flugplanung heute ausschliesslich den EFB (Electronic Flightbag von Aivlasoft – siehe unsere Rezension hier) verwende, und diese Flugpläne werden automatisch und fehlerfrei in den Airbus X FMC übertragen. Aber auch beim FMC oder eben richtigerweise FMGC fehlt das richtige “Feel” Erlebnis, weil dessen Funktionen doch sehr eingeschränkt sind – dies kann man aber nicht als Manko verbuchen. Darauf wurde ja im Vorfeld der Veröffentlichung hingewiesen.

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: Eine gute Atmosphäre ist auch durch guten Sound bedingt. Ich vermag nicht zu sagen, ob Aerosoft hier gute Arbeit geleistet hat – ich vermute es aber, wenn ich die vereinzelten Hinweise im Handbuch richtig interpretiere.


Oski: Hier kann man gute Noten verteilen. Die Sounds sind durchwegs gut, auch wenn sich hartnäckig ein Kabinensound – die PTU während des Triebwerkstarts – im Cockpit hält, der dort eigentlich nichts zu suchen hat. Aber das ist geradezu ein vernachlässigbares Detail. Störend wirken ab und zu falsche ECAM-Warnungen, die mit etwas mehr Sorgfalt auch hätten vermieden werden können.


Holger: Bis jetzt hinterlässt das Addon bei mir nach wie vor einen sehr ambivalenten Eindruck. Licht und Schatten liegen sehr eng bei einander. Hilft die umfangreiche Dokumentation denn wenigstens weiter, um die Überraschungen bei einem Airbus X-Flug zu kalkulieren?
Ingo: Es ist von Anfang an ein Tutorial dabei – das ist schon mal sehr gut. Das Tutorial (die StepbyStep Anleitung) hätte meines Erachtens deutlich ausführlicher sein dürfen. Es ist meiner Erfahrung nach das einzige Dokument, das wirklich gelesen wird. Warum man drei Versionen der Checklisten einbaut, habe ich noch nicht verstanden. Einmal Normal Procedures sollte für alle Anwender genügen. Es gibt auch ein knappes System-Manual, das analog zum A320 FCOM aufgebaut ist. Es ist mehr Stichpunkt-artig geschrieben, aber deckt meines Erachtens alle relevanten Punkte für den Airbus ab.


Holger: Schön. Aber versteht die Dokumentation auch der “typische Feierabendpilot”, der wenig Lust auf komplizierte Systeme hat?
Ingo: Das kommt auf den User an. Wer “nur” verstehen will, was zu tun ist, für den ist die Dokumentation vollkommen ausreichend. Wer noch Hintergründe erfahren möchte (bei der Zielgruppe des Produktes aber weniger wahrscheinlich), dürfte man recht bald an die Grenzen der Dokumentation kommen. Gerade das Tutorial ist schön kurz und knackig und verleitet einen halbwegs geübten User bestimmt schnell zu Erfolgserlebnissen. Für versierte User ist der Blick in die Dokumentation sicher auch wichtig, damit die nicht ein Verhalten erwarten, das gar nicht programmiert / realisiert ist.


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Fazit: Aerosofts Airbus ist ein wirklich wunderbares Addon für alle, die unbedingt einen modernen Airbus im FSX bewegen möchten. Sei es, um den letzten Flug in den Urlaub nachzustellen oder weil man sich an einem perfekten 3D-Modell erfreuen möchte. Diese Leute werden sich leicht tun, über manche Fehler hinweg zu sehen. Wem es aber hingegen egal ist, ob er eine Boeing oder einen Airbus fliegt, dafür aber Wert auf den Flug als solches legt, wird mit dem Airbus im aktuellen Produktionsstand wenig Freude haben. Das gilt für wenig belesene Feierabendpiloten genauso wie für Hardcore-Fetischisten gleichermaßen. Dem einen wird viel zugemutet, dem anderen fehlt schlichtweg zu viel. Aerosoft wird gut daran tun, nun rasch eine “Pro”-Version nachzuschieben, um ein perfektes Modell mit perfekten Systemen zu vereinen. Das würde unterm Strich vielen Kunden am meisten helfen, denn eines ist klar: Der Airbus X hat noch enormes Potenzial. Und Aerosoft hat gezeigt, dass sie das Potenzial auch ausschöpfen können, wenn man den Entwicklern nur genügend Zeit gäbe. Vielleicht hilft es den Entwicklern ja, wenn man Mathijs Kok dann während der Entwicklung ein wenig auf die Marketingbremse tritt und die Kommunikation im Forum herunter fährt.

Informationen

Erhältlich ist der Airbus derzeit nur als Download-Version für 37,95€ entweder bei Aerosoft oder im simMarket.

1 Kommentar
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Daniel Boyd
Daniel Boyd
12 Jahre zuvor

This is a fantastic addon for its exterior model and also it’s sounds, in particular the engine sound from within the cockpit. The cockpit is like one I have never seen before. It is sharp, accurate and concise but the biggest downfall of this addon is it does not have a fully functional FMC. It is impossible to fly accurately on, say, the VATSIM network where SID’s and STAR’s are mandatory! A major set back – I would happily say this is the best addon ever made for FS but am only prepared to offer it that title if Aerosoft sort out it’s FMC!! Other than that, it is fantastic!!